Existenzanalyse 2/2009

Ich und mein Leib
Versuch der Neuinterpretation der Leib-Seele-Einheit

Emmanuel Bauer

Schlüsselwörter: Aristotelismus, Erste und Zweite Verwirklichung des Leibes (actus primus, actus secundus), Leib-Seele-Dualismus, Leib-Seele-Einheit, Personsein, psy­cho-noe­tischer Antagonismus

V.E. Frankl versteht das Verhältnis von Geist und Psychophysikum als Antagonismus, bei dem die geistige Person dem leib-seelischen Organismus und seinen Strebungen trotzen kann und muss. Unreflektiert bleibt er damit im platonischen Dualismus ebenso wie in der cartesianischen Dichotomie von Denken und Ausdehnung (Materie) verhaftet, wodurch der Leib zum bloßen Körper zu werden droht. Die neue Existenzanalyse orientiert sich stärker an der aristotelisch-thoma­nischen Tradition der Leib-Seele-Einheit und sieht in der Leiblichkeit die Bedingung der Möglichkeit von Geist- und Personsein. Leiberfahrung ist aus existenzanalytischer Sicht das Fundament personaler Lebensge­stal­tung. Dieser Ansatz bietet auch die Chance, sich in die aktuelle Diskussion um eine kom­pa­tibi­listische oder dualistische Anthropologie einzubringen und das Verhältnis von Geist und neurophysiologischer Bedingtheit auf eine ursprüngliche Einheit hin zu deuten. Als Modell dafür dient die aristotelisch inspirierte Interpretation des Geistes als zwei­te Verwirklichung des geistigen Vermögens der Seele, wodurch dieses die ontologische Qualität von Freiheit, Selbstbewusstsein und Intentionalität erlangt.

Das eingefleischte Selbst
Existenz und Psychosomatik

Alfried Längle

Schlüsselwörter: Anthropologie, Existenzanalyse, existentielle Grundmotivationen, Psychodynamik, Psychosomatik

Existenz ist ganzheitliches Sein, d.h. es geschieht leibhaftig und in der Welt. Die Welt ist uns nicht anders als körperlich vermittelt. Im Körper zu sein ist primäres In-der-Welt-Sein.

Vor dem Hintergrund dieser anthropologischen Konstitution des Menschen erhält der Körper eine tragende und zugleich vermittelnde Rolle im Lebensvollzug. Wie aber wirkt sich diese Rolle auf die Psyche aus? Wodurch kann dieses Zusammengehen von Psyche und Körper so gestört werden, daß der Körper unter der Psyche erkrankt?

Da die existentiellen Grundmotivationen ein Konstrukt darstellen, welches vom In-der-Welt-Sein des Menschen ausgeht, bietet es sich an, die psychodynamischen und existentiellen Grundlagen zu beschreiben, durch die es zu psychisch bedingten Störungen im Körper kommen kann. So kann aus der EA ein theoretisches Verständnis psychosomatischer Störungen entwickelt werden, das wiederum Grundlage für spezifische therapeutische Intervention wird.

Nach einer Reflexion des Leib-Seele Problems in der EA werden sowohl psychosomatische Funktionsstörungen als auch psychosomatische Krankheiten unter existentiellen Gesichtspunkten beschrieben.

Aus ganzem Herzen leben

Anton Nindl

Schlüsselwörter: Existenzanalyse, Herz­fre­quenz­variabilität, Sinnfindung, Zustimmung

In Dichtung, Kunst, Religion und Philosophie wird dem Herzen metaphorisch von jeher eine übergreifende Weisheit zugesprochen. Auch in den modernen Naturwissenschaften wird zunehmend vom Herzen als einem hoch sensiblen Wahrnehmungs- und Kom­mu­nikationsorgan für physiologische und psychische Prozesse gesprochen und ihm dabei eine wesentliche Bedeutung bei der Emotions- und Selbstregulation zugeschrieben. Möglicherweise kommt unserem Herzen in seiner lebendigen Rhythmik das Synchronisieren von Beweggründen zu, die uns in Achtsamkeit leibhaftig erfahrbar den Weg zu Sinnfindung und Erfüllung weisen können.

Partisanen der Psyche
Der Weg traumatischer Erfahrungen in den Untergrund

Liselotte Tutsch, Heinrich Donat

Schlüsselwörter: neurobiologische Manifestationen, somatoforme Dissoziation, struk­turelle Veränderungen, Trauma, Trauma­­spezifische Therapie

Auf der Basis neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse und Erfahrungen wird der Weg beschrieben, wie somatoforme Störungen als Ergebnis nicht bewältigter, traumatischer Erfahrungen zustande kommen können und als eine typische Traumafolge für die Ge­samt­per­sönlichkeit verstehbar werden ; diese Ausführungen werden mit einem Ausblick auf spezifische Therapiemöglichkeiten und Techniken abgerundet.

Leibgedächtnis und Lebensgeschichte

Thomas Fuchs

Schlüsselwörter: implizites Gedächtnis, Lebensgeschichte, Leibgedächtnis, Selbst, Zwischenleiblichkeit

Unser Gedächtnis enthält nicht nur bestimmte Erinnerungen an Vergangenes, sondern auch erworbene Dispositionen, Fähigkeiten und Gewohnheiten, die meist implizit, also vor- oder unbewusst unser gegenwärtiges Erleben und Verhalten beeinflussen. Dieses „Gedächtnis des Leibes“ tritt in verschiedenen Formen auf, die sich als prozedurales, situatives, zwischenleibliches, inkorpora­ti­ves und schließlich auch als traumatisches Ge­dächtnis beschreiben lassen. Die lebenslange Formbarkeit des Leibgedächtnisses ermöglicht die Anpassung an die jeweilige natürliche und kulturelle Umgebung, insbeson­dere die Verwurzelung und Beheimatung im sozialen Raum. Die im Leibgedächtnis gewachsenen Strukturen sind andererseits eine wesentliche Grundlage des Selbsterlebens und der Identität: Die individuelle Geschichte und Eigenart der Person kommt auch in ihrem leiblichen Habitus und Verhalten zum Ausdruck. Diese Konzeption des Leibge­dächtnisses wird phänomenologisch entwickelt und anhand klinischer und literarischer Beispiele erläutert.

Frau zu werden…
Psychotherapie einer Patientin mit schwerer Endometriose

Renate Bukovski

Schlüsselwörter: Endometriose, Kasuistik, Körperliche Erkrankung, Personale Exis­tenz­­analyse, Phänomenologie

Vor dem Hintergrund psychopathogene­tischer und psychosozialer Aspekte wird eine existenzanalytische Psychotherapie einer an Endometriose erkrankten Patientin vorgestellt. Hauptziel des therapeutischen Vorgehens war es, die Patientin zu einer wohl­wollenden Beziehung zu sich und ihrem Körper zu begleiten und ihr zu einem personalen Umgang mit der Erkrankung und zu einer guten Lebensqualität trotz verbleibender Symptomatik zu verhelfen. Im phänomenologischen Schauen auf das körperliche und psychische Erleben der Patientin und auf die Beziehungsdynamiken in der Ursprungsfamilie konnten krankmachende und leidvolle Zusammenhänge aufgezeigt und einer Bearbeitung zugeführt werden.

Heilkunst ist mehr als Naturwissenschaft

Paul König

Schlüsselwörter: dreidimensionales Menschenbild, Empathie, Existenzanalyse, ganzheitliche Medizin, Heilkunst, Logotherapie, Morbus Crohn, Psychosoziale Aspekte, Spiritualität, Transformation

Auf Grund der enormen Entwicklung der Naturwissenschaften hat sich während der letzten Jahrzehnte eine Hightech-Medizin entwickelt, die von der ursprünglichen Heilkunst auf eine kopflastige Körpermedizin reduziert wurde und somit den Körper von den menschlichen Dimensionen Geist und Seele getrennt hat. Diagnosen werden mit Hilfe von Laborparametern, Bild gebenden Verfahren wie Röntgen, Sonographie etc. erstellt, und die tatsächliche Geschichte des Kranken wird längst nicht mehr in ihrer umfassenden Bedeutung wahrgenommen. Aus dem dreidimensionalen Menschenbild von Viktor Frankl geht hervor, dass nur der achtsame Umgang mit allen drei Dimensionen zum Heilsein führen kann.

In der nachfolgenden Abhandlung wird ein ganzheitlicher Heilungsprozess dargestellt, der, ergänzend zur „Körpermedizin“, die Heilung eines Menschen vor allem durch seine geistig-seelische Entwicklung beschreibt. Die Behandlungsgrundlage war die Stärkung der drei personalen Grundmotivationen, wobei die Selbstwertproblematik immer wieder als zentraler Ausgangspunkt die Therapie gestaltete. Die Grundlagen der Behandlung waren naturwissenschaftliches Wissen, psychosoziale Kompetenz, Spiritualität und Empathie, getragen von Geduld, Vertrauen und Respekt.

Leibhaftig: Noogenese und Somatisierungs­störung
Bemerkung zu einer existenzanalytischen Psychosomatik

Hans-Martin Rothe

Schlüsselwörter: Existenzanalyse, Hermeneutischer Zugang, Leib, Psycho­analyse, Somatisierungsstörung

Ausgehend von V.E. Frankls früher Kritik an der zeitgenössischen deutschen Psychosomatik werden die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten einer hermeneutischen und phänomen-nahen Zugangsweise zu Patienten mit Somatisier­ungs­störung dargestellt. Aus der zweifachen Beziehung des Menschen zu seinem Körper (einen Körper haben und Leib sein) ergeben sich im Umgang mit Personen mit einer Somatisierungsstörung typische Behandlungsprobleme und -herausfor­derungen, die bestimmte Anforderungen an den Arzt und Therapeuten stellen. Einige fruchtbare psychosomatische Modellbildungen werden mit ihren offenen Fragen zu den aktuellen Konzeptbildungen in der Existenzanalyse in Beziehung gesetzt. An vignettenhaften Bespielen wird dargestellt, wo im Spannungsfeld von pathogenetischem und salutogenetischem Denken in der Ergänzungsreihe von Konflikt und Struktur, psychosomatischer Vulnerabilität und situativer Belastung „die Person“ ihren Entfaltungsraum findet.

Phänomenologie und existenzanalytische Therapie bei somatoformer Schmerzstörung

Barbara Jöbstl

Schlüsselwörter: Grundmotivationen, Personale Existenzanalyse, Phänomenologie, Somatoforme Schmerzstörung

Im vorliegenden Beitrag wird eine primär praxisorientierte Fallschilderung einer existenzanalytischen Therapie einer Patientin, hier Anna genannt, mit somatoformer Schmerzstörung dargestellt. Eine ausführliche Bezugnahme zu Annas Wirklichkeit soll ihr Leiden, dessen Genese und ihr „Heil werden“ auf dem Hintergrund ihrer biographischen und gegenwärtigen Bedingungen dem Erleben und Verstehen näher bringen. Neben dem praktischen Zugang zur Phänomenologie des Schmerzes werden die wichtigsten therapeutischen Schwerpunkte im Therapieverlauf erläutert. Am Ende soll R. M. Rilkes Gedicht „Der Panther“, Annas Lieblingsgedicht, poetisch ihre Erlebniswirklichkeit veranschaulichen.

… mit den Füßen spielen …
Dialog mit meinem Körper

Rupert Dinhobl

Schlüsselwörter: onkologischer Patient, Personale Existenzanalyse (PEA); phänomenologische Methode, Psychosomatik, Schmerz­patient

Auf die Suizidpräventionsstation, wo ich als Psychotherapeut arbeite, kommen immer wieder neurologische und onkologische PatientInnen, die suizidal wurden, weil sie ihre Schmerzen nicht mehr ertragen können oder keinen Sinn in ihrem Leben sehen. Ich versuche mit der phänomenologischen, existenzanalytischen Methode einen Dialog mit ihrem Körper und ihren Schmerzen zu induzieren, was oft zu erstaunlichen Ergebnissen führt. Auch PatientInnen mit Migra­tions­hintergrund sprechen auf diese Methode meist gut an. In diesem Artikel stelle ich einen bosnischen Schmerzpatienten und eine onkologische Patientin im letzten Stadium ihrer Erkrankung vor.

Schmerz lass nach!
Ein existenzanalytischer Weg in der Behandlung chronischer Schmerzen

Marc Sattler

Schlüsselwörter: chronische Schmerzen,Diagnostik chronischer Schmerzen, Existenzanalyse, existenzanalytischer Behandlungszugang

Schmerz besitzt einen eindringlichen Warn- und Signalcharakter. Als genetisches „Erfolgsprogramm“ wird er seit Millionen Jahren von Generation zu Generation weitergegeben. Doch was passiert, wenn die Schmerzen nicht mehr enden wollen? Für viele Betroffene beginnt eine endlose Schleife des Leidens, die sie auch in psychotherapeutische Behandlung führt.

Welchen Beitrag kann die Existenzanalyse im Kontext eines multiprofessionellen Behandlungsansatzes leisten? Dieser Frage wird im folgenden Artikel nachgegangen, wobei ein Bogen von der Diagnostik über Ansätze zur Behandlung bis zu immer wiederkehrenden Stolpersteinen im Umgang mit chronischen Schmerzpatienten1 gespannt wird.

Körperbilder bei Anorexie und Bulimie und Möglichkeiten ihrer Veränderung in der Therapie

Helene Drexler

Schlüsselwörter: Anorexie, Bulimie, Essstörung, Körperbild, Körperbildstörung, Körpergedächtnis, Körpermethoden, kreative Methoden

In der Therapie von Essstörungen ist die Bearbeitung des pathologischen, oft ins Wahnhafte reichenden, Körperbildes der Patientinnen von zentraler Bedeutung. Seine Entwicklung geht auf die frühe Kindheit zurück und verläuft überwiegend vor- bzw. unbewusst. Es ist im Körpergedächtnis gespeichert und daher im therapeutischen Gespräch nur schwer zugänglich. Eine Veränderung kann in erster Linie durch das Ansprechen der Bewegungs- und Berührungssinne erreicht werden.

Daher empfiehlt es sich, in der Therapie der Körperbildstörung vor allem Methoden anzuwenden, die auf die genannten Sinne einwirken: Bewegungs-, Spür- und Atemübungen, Methoden zur Körpergrenze, unterstützt von Imaginationen, Malen, Tonarbeit und Musik. Entsprechende Übungen sind im Artikel beispielhaft angeführt.

Traumkörper – Körpertraum

Susanne Jaeger-Gerlach

Schlüsselwörter: Achtsamkeit, Bewusstheit, Dialog, Existenzielle Traumarbeit, Ganzheit, Körperwahrnehmungen und -übungen

Der Artikel gibt die Erfahrungen des Workshops wieder, in dem es darum ging, dass die TeilnehmerInnen auf der Grundlage eines eigenen Körpertraums, begleitet mit Achtsamkeits- und Körperübungen, ausgestattet mit den ersten Grundregeln der Existenziellen Traumarbeit, sich auf einen Erlebnisweg zu sich selbst aufmachten. Erhofftes Ziel: dass auf diesem Erfahrungsweg die vermittelten Grundannahmen vom Zusammenspiel Welt-Körper-Seele-Geist-Ich nicht nur kognitiv erfasst, sondern auch „einverleibt“, mit dem Körper begriffen werden können.

Dasein – Atmen – Achtsamkeit
Existenzanalyse und vorreflexives leibliches Erleben

Markus Angermayr

Schlüsselwörter: Breema-Körperarbeit, Existenzanalyse, Grundmotivationen, Körper, Leib, Phänomenologie

Im Workshop der Internationalen Tagung der GLE 2009 sollte der Zugang zum vorreflexiven leiblichen Erleben des In-der-Welt-Seins und dessen Bedeutung für die existenzanalytische Psychotherapie vermittelt werden. Im Mittelpunkt standen Übungssequenzen aus der Tradition der Breema-Körperarbeit, die phänomenologisch reflektiert wurden. Dabei werden die existenzanalytischen Interessen einer Arbeit mit dem Körper und mögliche Entwicklungsfelder in den Blick genommen. Der Essay versteht sich als Versuch, die Arbeit mit dem Körper nicht nur theoretisch, sondern konkret und praktisch in die Existenzanalyse einzubringen. Die Ausführungen sind als Anmerkungen und skizzenhafte Vertiefungen zur existenzanalytischen Anthropologie und Praxis zu verstehen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Krank und selber schuld?
Konversionsstörungen bei Kinder und Jugendlichen

Tina Rossmann

Schlüsselwörter: Diagnosemitteilung, Konversionsstörung bei Kindern, Nachsorge, Therapie

Während OrganmedizinerInnen häufig vermitteln, eine Erkrankung wäre „nur“ psychosomatisch, erleben Eltern gerade dies häufig als überaus bedrohlich und viele Mütter und Väter würden eine mehr Klarheit vermittelnde, handfeste organische Diagnose bevorzugen.

Eltern und PatientInnen zeigen häufig starke Berührungsängste mit dem psychiatrisch-psychologisch-psychotherapeutischen Fachgebiet, welches mit vielen Vorurteilen behaftet und für Eltern häufig gleichbedeutend ist mit „wir sind schuld“ oder „unser Kind ist nicht richtig im Kopf“.

Es wird anhand des klinischen Alltags der Referentin an einer Neuropädiatrie die Bedeutung der Kooperation zwischen ÄrztInnen und PsychologInnen/ PsychotherapeutInnen aufgezeigt sowie die Schwierigkeit des Umgangs mit „psychosomatischen“ Auffälligkeiten im Sinne von Ausschlussdiagnosen beleuchtet.

Bedeutung und Möglichkeiten von Senso- und Psychomotorik in der Kinderpsychotherapie

Roman Biberich

Schlüsselwörter: Bewegungskompetenz, Kinderpsychotherapie, Körper, Psychomotorik, Sensomotorik

Kinder- und Jugendpsychotherapie läuft weit mehr auf nonverbaler Ebene ab, als in der Arbeit mit Erwachsenen – nicht nur im Zugang, sondern auch im laufenden Prozess. Senso- und psychomotorische Materialien ermöglichen hierbei einerseits eine erweiterte Diagnostik, andererseits bekommt das Kind die Möglichkeit, sich auszudrücken und in seinen Möglichkeiten zu erfahren. Die Bestärkung des Kindes in seinem Sein und Können vergrößert seine Bewegungskompetenz und wirkt sich positiv auf das Selbstkonzept aus.

Das Fette Selbst
Gedanken zur Behandlung der Anorexia Nervosa aus der Sicht einer Individualpsychologin

Ruth Weissensteiner

Schlüsselwörter: Emotionen, Individualpsychologie, Magersucht, Selbstkonzept, Symbolisierungsfähigkeit

„Wenn ich mich in den Spiegel schaue, sehe ich nur Fett, und es ekelt mir.“ Dies sind Worte einer an Magersucht leidenden Jugendlichen, die mich angeregt hat über die symbolische Bedeutung des Fetts nachzudenken.

Das „Fette Selbst“ könnte man als Reservoir der negativen Gefühle verstehen. Von der Magersucht Betroffene leiden unter einer schweren Unzufriedenheit mit sich selbst. Bei einem defekten Selbstkonzept, mangelnder somato-psychischer Differenzierung und Symbolisierungsfähigkeit wird der Körper zur Metapher des Selbst. Es wird an ihm gearbeitet ohne Unterlass, er wird zum Lebenswerk, zur Berufung und zur Pseudoidentität. Es ist als ein Bemühen zu verstehen das Fett, den Makel und den Ekel, die fundamentale Unzulänglichkeit, auszuhungern oder zu verbergen. Das Fette Selbst, Container der negativen Affekte und Trauma­tisierungen, wird verleugnet, nicht integriert und damit auch nicht zur Selbstreflexion zur Verfügung gestellt. Wenn die Psyche zum Soma wird, dann ist die Magersucht die Qual des verkörperten Selbst.

Focusing in der Beratung und Psychotherapie
Eine Arbeit mit der präreflexiven Stellungnahme

Ingo Zirks

Schlüsselwörter: Focusing, PEA, Phänomenologie, Primäre Emotion

Focusing ist eine körpertherapeutische Methode, die von E. Gendlin entwickelt wurde. Sie wird u.a. in der Beratung, Psychotherapie, Psychoonkologie und im Coaching angewandt. Sie lässt sich in ihrer Durchführung leicht mit dem existenzanalytischen Konzept der PEA in Verbindung bringen. Das, was sich zeigt und noch unaussprechbar ist, ist dennoch leibnah und phänomenologisch zu beschreiben. Die Arbeit mit der präreflexiven Stellungnahme und das Bergen der primären Emotion sind Teil des Prozesses. Im Workshop wurden Theorie und Methode dargestellt und durch Fallbeispiele und in der Selbsterfahrung erfahrbar gemacht.

Leibliche Begegnung als Zugang in der Beratung

Sigrid Happ

Schlüsselwörter: Beratung, Dialog, leib-bezogener Zugang, Zwischenleiblichkeit

Beziehungsfähigkeit gilt als grundlegendes Moment für den in die Welt gestellten Menschen. Dies lässt die gedankliche Weiterführung zur Frage der Dialogfähigkeit zu bzw. die Wendung in die umgekehrte Denkrichtung: Lassen sich über einen direkten Dialog heilende Prozesse im Menschen anstoßen?

Vor dem Hintergrund des dialogphilosophischen Menschenbildes M. Bubers, demnach der Mensch als von Grund auf dialogisches Wesen gesehen wird, lässt sich ein bewegungstherapeutischer Ansatz skizzieren, der das Buber’sche „Zwischen“ im Sinne von Zwischenleiblichkeit versteht. In diesem Vortrag wird der Frage nachgegangen, inwiefern gerade ein nicht-sprachlicher, unmittelbar-leiblicher Zugang den Prozess eröffnen, unterstützen, wenn nicht sogar erleichtern kann. Exemplarisch sollen einfache Übungen mit Variationsmöglichkeiten vorgestellt und die Anwendung in der therapeutischen Praxis reflektiert werden.

Der Mensch im Spannungsfeld zwischen Leistung und Sinnfindung
Zugänge der Existenzanalyse im Leistungssport

Andrea Engleder

Schlüsselwörter: Identität, Körper, Sport, Werte

Leistungssport stellt eine starke Herausforderung für Körper, Psyche und Geist dar. Wenn die Erlebniswelten in Übereinstimmung sind, werden sportliche Höchstleistungen möglich. Ohne Körper keine Bewegung, ohne Psyche keine Antriebskraft und emotionale Orientierung, ohne Geist keine Entscheidung, über eigene Grenzen gehen zu wollen. Der existenzanalytische Zugang ermöglicht fokussiertes Arbeiten an den zentralen Anliegen der SportlerInnen, die in diesem Artikel exemplarisch aufgezeigt werden.

Person und Stimme
Die funktionelle Dysphonie als personal-existenzielles Geschehen

Karin Parschalk

Schlüsselwörter: Funktionelle Dysphonie – Personal-existenzielle Sinnerfüllung – Existenzielle Lebensqualität

Funktionelle Störungen der Stimme werden in der Fachliteratur als komplexe biopsychosoziale Geschehen beschrieben, welche in Zusammenhang mit körperlichen, psychischen sowie psychosozialen Prozessen stehen. Im wissenschaftlichen Diskurs zur funktionellen Dysphonie blieb die existenzanalytische Theorie bisher weitgehend unberücksichtigt. Im Rahmen meiner Dissertation am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien wurden Menschen mit funktioneller Dysphonie erstmals mit existenzanalytischen Testinstrumenten (ESK, ELQ) quantitativ-empirisch untersucht und basierend auf den gewonnenen signifikanten Studienergebnissen (=5%) als „personal-existenzielles“ Geschehen postuliert. Im Vortrag wird der neu entwickelte personal-existenzielle Theoriezugang vorgestellt, welcher funktionelle Dysphonien zugleich als Ausdruck und/oder Ursache noetischer Defizite beschreibt, sowie ein kurzer Einblick in dessen Relevanz für die sprachheilpädagogische Praxis gegeben.

Leiblichkeit und Schamerleben

Wiebke Dankowski

Schlüsselwörter: Copingreaktionen, Intimität, Leib, Scham, Würde

Obgleich die Scham ein Konstitutivum der Person ist und jeder Mensch die Erfahrung von Beschämung macht, wird Scham meist tabuisiert, weil sich in ihr un­sere Verletzlichkeit zeigt. Die Scham ist jedoch zuallererst eine Schutzfunktion für die Intimität und Würde der Person. Wenn die Scham verletzt wird, drückt sich dies unmittelbar körperlich aus. Der Schamaffekt wird als bedrohlich erlebt und durch verschiedene Copingreaktionen maskiert. Gerade unsere Körperlichkeit verbindet sich mit Schamgefühlen, die verdeckt werden. Die Scham als Schutzfunktion wieder wahrzunehmen bewahrt vor entpersonalisierender Schamlosigkeit.

Zeitschrift Existenzanalyse in unserem Shop bestellen