Existenzanalyse 2/2012

Zeitschrift ExistenzanalyseWas heißt Wollen?

Günther Pöltner

Der Beitrag möchte zeigen, inwiefern das Wollen ein „Antwortphänomen“ ist. Wollen muss von ähnlichen Phänomenen wie z.B. dem Wünschen unterschieden werden. Das Intendieren und Bestimmen eines Zieles ist etwas Zweites, an erster Stelle steht der Aufruf einer Handlungssituation. „Antwort“ meint nicht eine nachträgliche Reaktion, sondern Entsprechung, in der Anspruch und Lassen ineinander fallen. Wer etwas ernsthaft will, lässt sich in Anspruch nehmen. Weil das oft nur unter Überwindung äußerer und innerer Widerstände gelingt, ist zum Lassen Einübung erforderlich. Seine Grenzen schränken das Wollen nicht nur ein, sondern ermöglichen es auch.

Schlüsselwörter: Lassen, Wollen

Arbeit am Freiheitsspielraum statt Appellation an einen „Frei-Geist“

Emmanuel J. Bauer

Freiheit ist ein Konstituens menschlicher Existenz, verstanden als die grundsätzliche Offenheit des Menschen, sein Sein zu entwerfen, und resultierend aus der Fähigkeit, zu sich, seinen Handlungen und seiner Welt in Distanz zu treten. Die Frage der Philosophie ist heute nicht, ob der Mensch frei ist, sondern in welchem Maß und in welcher Qualität er frei ist. Die neurobiologischen Erkenntnisse machen die vielfältige Bedingt- und Begrenztheit der Freiheit bewusst. Diese ist weder reine Willkür noch Indifferenz, aber auch keine bloße Handlungsautonomie, sondern ein dynamischer, gewachsener, geschichtlich-biographisch bedingter Spielraum personalen Wollens. Psychotherapie kann daher bei ihrer Arbeit nicht große Sprünge (im Sinne des voluntaristischen Freiheitsoptimismus Frankls) im Auge haben oder einen homunculusartigen „Frei-Geist“ im Menschen beschwören, sondern unter Berücksichtigung der vielfältigen Dimensionen nur kontinuierlich an der Erweiterung des Freiheitsspielraums arbeiten.

Schlüsselwörter: existentielle Offenheit, Freiheitsraum, Willensfreiheit

Vom gelassenen Wollen zum erzwungenen Lassen – Zur Praxis der realen Freiheit

Alfried Längle

Der Wille – Ausdruck der Freiheit des Menschen – wird in der Existenzanalyse als Ermöglichung des Existenzvollzugs angesehen. Auf seine drei Erscheinungsformen wird eingangs hingewiesen. Die Freiheit des Willens wird durch das Lassen sowie die Bezugnahme auf die eigene Person begründet. Das Lassen gibt dem Werden Raum. Im Kontrast dazu übernimmt der Wille spezifische aktive Funktionen, die der Handlung das persönliche Gepräge geben. Die personal-existentiellen Grundmotivationen ordnen die komplexe Struktur des Willens und der Willensbildung. – Ein großes Problem mit dem Willen sind die Dilemmata, die durch Wertekollision und wegen der Integrationsfunktion entstehen können. Der Wille ist verführbar. Die Schwäche gehört zum Willen inhärent dazu. Ein Wissen um die integrierten Schwachstellen des Willens erleichtert eine akzeptierende Lebensführung.
Für Therapie und Beratung ist ein angemessenes Verständnis des Willens grundlegend für die Behandlung. Es wird auf mehrere Methoden zum Umgang mit Willensproblemen verwiesen, und für das Lösen von Dilemma-Situationen eine Methode der Selbstkonfrontation vorgestellt. Sie hat Bedeutung, wenn ein Scheitern der ursprünglichen Intention unumgänglich wird. Durch solche Vorgangsweise kann das Aufbrechen einer neuen Selbstfindung geborgen werden.

Schlüsselwörter: Existentielle Grundmotivationen, Freiheit, Lassen, Selbstkonfrontation, Wille

Warum tue ich nicht, was ich will? Emotionale Orientierung zum Umgang mit psychodynamischen Blockierungen

Christoph Kolbe

Viele Menschen erleben sich blockiert, das zu tun, was sie tun wollen und auch tun sollten. Die Gründe hierfür sind nach existenzanalytischer Theorie auf zwei Ebenen zu suchen: Entweder gelingt in existentieller Hinsicht die personale Wertberührung oder Wertklarheit nicht, so dass Diffusität entsteht, oder, was jedoch schwieriger und in psychotherapeutischer Hinsicht alltäglicher ist, ist das Problem, dass personale Werte aufgrund psychodynamischer Blockierungen nicht gelebt werden. Im Hintergrund steht hier immer eine Angst, die der betroffene Mensch zunächst vordringlich beruhigt.
Es werden typische Konfliktthemen beschrieben, die das personale Wollen behindern, sofern sie nicht gelöst sind und deshalb mit psychodynamischen Reaktionsmustern bewältigt werden. Für die therapeutische Arbeit soll hier ein Modell der Emotionalen Orientierung (EMO) vorgestellt werden, das sowohl dem Therapeuten, als auch dem Patienten/Klienten eine Möglichkeit der inneren Orientierung im „Dschungel der Emotionen und Affekte“ an die Hand gibt, sich hinsichtlich divergenter Motivationen und Gefühlslagen wahrzunehmen. Und es soll ihm eine Möglichkeit an die Hand geben, selbstständig Position im Sinne der personalen Motivation zu beziehen, ohne sich in den bedürftigen oder verunsicherten Persönlichkeitsanteilen zu übergehen.

Schlüsselwörter: Abwehrmechanismen, Affekt, Copingreaktionen, Emotion, Existenzanalyse, Gefühl, Methodik, Person, Psyche, Psychodynamik

Der Wille, die Emotionen und das Selbst: Wie funktioniert freier Wille?

Julius Kuhl

Emotionen haben neben ihrer klassischen Signal- und Verhaltenssteuerungsfunktion eine modulierende Wirkung auf die Interaktion zwischen psychischen Systemen. Darüber hinaus sind sie integraler Bestandteil eines weitgehend unbewussten, in Ausschnitten aber bewusstseinsfähigen Selbst. Vor dem Hintergrund experimentalpsychologischer und neurobiologischer Forschungsergebnisse wird eine integrative Persönlichkeitstheorie vorgestellt (PSI-Theorie), in der die Interaktion zwischen einem integrationsstarken Selbst und einem fokussierungsstarken Ich ein zentrale Rolle spielt. Das Selbst liegt einer weitgehend unbewussten Form des Willens zugrunde, die durch die Jahrtausende alte Reduzierung auf die (bewusstseinspflichtige) Form des disziplinierenden („diktatorischen“) Willens in Theologie, Philosophie und Psychologie fast völlig übersehen wurde. Wirkprinzipien der Logotherapie können vor dem Hintergrund der PSI-Theorie und der durch sie integrierten Forschungsbefunde erklärt werden. „Willensfreiheit“ widerspricht vor diesem Hintergrund nicht dem kausal-deterministischen Weltbild: Sie beschreibt den Fall, dass eine Person „frei“ ist, bei ihrer Entscheidung alle persönlich (d.h. für das Selbst) relevanten Informationen zu berücksichtigen (z.B. Präferenzen, Werte, Gefühle, Bedürfnisse, Fähigkeiten: eigene und die anderer). Diese Freiheit kann durch äußere oder innere „selbstfremde“ Kräfte eingeschränkt werden (z.B. äußerer Zwang, Erwartungsdruck bzw. innere Impulse, wie überstarke Gewohnheiten oder Affekte).

Schlüsselwörter: Freier Wille, Personale Existenzanalyse, PSI-Theorie, Selbststeuerung

Ist Wollen männlich, Lassen weiblich?

Gertrud Nunner-Winkler

Im traditionellen Geschlechtsrollenverständnis wird diese Frage bejaht: Männer gelten als aktiv, rational-zielstrebig, rigide-prinzipienorientiert und dominant, zudem weisen sie faktisch höhere Gewalt- und Deliktraten auf, Frauen hingegen gelten als passiv, gefühlsbetont, flexibel-fürsorglich und submissiv. Empirisch will ich die Frage am Beispiel der moralischen Motivation untersuchen.
Dieses Thema eignet sich aus mehreren Gründen: Bei der Moral bilden Wollen und Lassen keine strikten Gegensätze (das Unterlassen von Vergehen setzt Willen voraus); in der Moral geht es um Achtung vor den Grenzen des Anderen und auch den Grenzen des (Zu-)Lassens; die Struktur der modernen moralischen Motivation (Ich-nahes second order desire statt Überich-Diktat oder präreflexive Habitualisierung) spricht gegen überzogene deterministische Thesen, wie sie von etlichen Evolutionsbiologen oder Gehirnforschern vertreten werden.
Die These lautet: Geschlechtsunterschiede in der Bindung an Moral sind auf Unterschiede in den Inhalten präferierter Werte zurückzuführen, die durch das Zusammenspiel moralabträglicher Geschlechtszugehörigkeit vermittelt sind. Sie folgen nicht aus Unterschieden im kognitiven Moralverständnis und indizieren keine (biologisch fundierten oder frühkindlich geprägten) Wesensdifferenzen zwischen den Geschlechtern in den Personenmerkmalen oder der Struktur des Willens. Datenbasis sind die Befunde von drei umfänglichen Studien (eine Längsschnittstudie, in der die Moralentwicklung von 4 bis 22 Jahren verfolgt wurde, ein Kohortenvergleich, eine Untersuchung 15- bis 16jähriger Schüler).
Identität – so die Schlussüberlegung – wird gestiftet und stabilisiert durch freiwillige Selbstbindung an Werte. Das müssen nicht moralische Werte sein, faktisch aber werde diese von vielen als identitätskonstitutiv verstanden.

Schlüsselwörter: Geschlechtsunterschiede, Moralische Motivation, Moralentwicklung

Zwangsbehandlungen in der Akutpsychiatrie

Rainer Gross

Für jene PsychotherapeutInnen, die eine Akutpsychiatrie nicht aus eigener Erfahrung kennen, ist „Zwangsbehandlung“ verbunden mit den Assoziationen von „Niederspritzen“ und inhumaner Behandlung von PatientInnen. Die Realität ist komplexer: Die Freiheitsrechte der PatientInnen sind in Österreich durch das „Unterbringungsgesetz“ ziemlich gut geschützt, die Anwendung von Zwangsmitteln sehr genau geregelt: Dadurch sind z. B. an unserer Abteilung 90% der PatientInnen freiwillig aufgenommen, allerdings eben immer noch 10% unfreiwillig – ca. jeder vierte davon (also insgesamt jeder 25. Patient) wird gegen seinen/ihren Willen medikamentös behandelt.
Im Vergleich zu früher sind es zwar viel weniger Zwangsbehandlungen, allerdings immer noch viel zu viele für das Wunschziel einer gewaltfreien Psychiatrie. In meinem Referat versuche ich, die gesetzlichen Rahmenbedingen psychiatrischen Handelns darzulegen (Unterbringungsgesetz etc.). Weiters möchte ich die schwierige Balance der PsychiaterInnen im Rahmen des „doppelten Mandats“ (therapeutischer Auftrag und Kontrollauftrag) beschreiben und abschließend auch auf die Konstellationen von Übertragung und Gegenübertragung bei der Ausübung von Zwang in der Behandlung eingehen. Ziel des Referates wäre ein verbessertes Verständnis akutpsychiatrischer Behandlung auch für nicht-psychiatrisch vorerfahrene KollegInnen.

Schlüsselwörter: Gegenübertragung, Unterbringungsgesetz, zwangsweise Aufnahme/Zwangsbehandlung in Akutpsychiatrie

‚Das wenige, was wir tun können, ist viel’ (Albert Schweitzer)
Die Demenzerkrankung und ihre Folgen für Betroffene und Pflegende

Eva Liesmann

Wollen und Lassen bestimmen im Wesentlichen die tägliche Arbeit mit demenzkranken Menschen. Angehörige und Pflegekräfte sind oft Stellvertreter für das Wollen von Demenzkranken und müssen im Umgang mit ihnen häufig selbst Vertrautes und Bekanntes loslassen. Kann dabei eine Kenntnis der personalen Grundmotivationen der LT/EA hilfreich sein? Anhand von Praxisbeispielen wird dies im Vortrag dargestellt.

Schlüsselwörter: Demenzerkrankung, Grundmotivationen, Lassen, Wille

Wollen hätt’ ich schon mögen, aber dürfen hab’ ich mich nicht getraut
(frei nach Karl Valentin)

Klaudia Gennermann

In Beratung und Therapie begegnen wir Menschen, die sich im Spannungsfeld von „Wille und Wollen“ bewegen und dies beeinträchtigend wahrnehmen. Es fällt ihnen schwer, einen Zugang zu ihrem Willen zu finden. Sie erleben ihn oft als unangemessen oder unsozial. Sie können ihrem Willen nur bedingt folgen und daraus ableitend auch keinen Handlungsentschluss fassen.
Im Folgenden werden typische Schwierigkeiten im Prozessverlauf des Wollens dargestellt. Um die angemessene, Orientierung schaffende Intervention zu identifizieren, werden u. a. Erfahrungen aus der Praxis und Erkenntnisse aus der Motivationspsychologie herangezogen.

Schlüsselwörter: Entscheidung, Konflikt, Verunsicherung, Wille, Willensakt

Warum die Beine nicht tragen – wie Burnout den Willen beeinflußt

Irina Efimova

Das russische Wort für Wille (volja) hat eine Doppelbedeutung: Überwindung und Freiheit. Der Wille wird daher in Russland in erster Linie als eine Fähigkeit verstanden, sich zwingen zu können etwas zu tun, was man nicht mag (Wille als Überwindung). Trifft dies auf überhöhte Wertvorstellungen im Beruf, gehören diese Menschen in die Risikogruppe des Burnouts.
In dieser Arbeit wird die Methodik beschrieben, wie der Einfluss von Burnout auf den Willensprozess erfaßt wird. Die Ergebnisse zeigen, dass Burnout mit einem nicht existentialen Umgang mit dem Nicht-Mögen bzw. mit dem Mögen in der Arbeit verbunden ist.

Schlüsselwörter: Burnout, Freiheit, Stufen des Willensbildungsprozesses, Wille

Erfahrungsbericht „Ich will trotzdem leben“

Thomas Reichel

Wir Menschen erheben oft den Anspruch an körperliche Unversehrtheit, und das bis ins hohe Alter. Wenn aber plötzlich eben diese in Gefahr ist, verlieren wir den Halt, haben Angst, entziehen uns dem Leben (und den Menschen) oder erleben uns als weniger wert. Gefühle der Hilflosigkeit und des Angewiesenseins auf andere erschweren uns den Umgang mit uns und unserer Umwelt. Nur zu gern verdrängen wir Krankheit und unterdrücken Trauer. Wie kann ich mein Leben frei gestalten und bestimmen, welchen Sinn hat das Leben noch, wenn ich nicht mehr sehen kann, meinen Beruf nicht mehr ausüben kann und so weiter? All diese Gedanken sind begleitet von unterschiedlichsten Emotionen. Sich da auszukennen, scheint unmöglich, Gefühle wie Hilflosigkeit und Ausgesetztsein gesellen sich dazu und lähmen.
Dieser Vortrag soll aufzeigen, wie ein existentielles Leben trotz meiner Sehbehinderung möglich wurde. Ich möchte nicht darstellen, wie Menschen in einer solchen Krise begleitet werden können. Vielmehr geht es mir darum zu schildern, wie ich als Betroffener diesen Prozess erlebt habe und wie die Existenzanalyse mir dabei half, meinen Willen zu einem sinnvollen Leben (wieder) zu finden.

Schlüsselwörter: Loslassen, Schicksal, Selbstannahme, Sinn, Trauern

Hältst du mich? Meilensteine einer Kindertherapie

Barbara Gawel

In der Kindertherapie treffen Wille und Vorstellungen vieler Personen zusammen. Eltern, Angehörige, Kindergarten oder Schule und vor allem das betroffene Kind gehen mit unterschiedlichen Ansprüchen, Bedürfnissen, Hoffnungen und Ängsten in den Therapieprozess. Auch Widerstände und Ablehnung können dazukommen. Der Therapeut wird zur Ichstütze und zum Sprachrohr des Kindes, damit das Kind die Möglichkeit erhält zu wachsen, zu reifen und seinen eigenen Weg zu gehen.
Anhand eines Fallbeispieles möchte ich in diesem Vortrag den Willen eines Kindes zur und durch die Therapie bis hin zum Abschluss nachzeichnen, und so den Weg beschreiben, den wir gemeinsam gegangen sind.

Schlüsselwörter: Kindertherapie, Therapieprozess, Weg, Wille

Wo ein Wille ist, ist ein Wert

Eva Maria Waibel

Als Erziehende haben wir es grundsätzlich mit einer anderen Person zu tun, über die wir nicht verfügen können. Ist diese Person nun sehr willensstark, können wir sie scheinbar noch weniger lenken. Wenn es aber unser Ziel ist, Kinder stark zu machen, ihnen einen hohen Selbstwert mitzugeben und es ihnen zu ermöglichen, ein sinnerfülltes Leben zu führen, bildet die Willensstärkung ein wichtiges Fundament von (existenzieller) Erziehung. Selbstgestaltung der Person und Entwicklung der eigenen Potenzialität sind ohne eigenen Willen nicht denkbar. Existenzielle Erziehung bedeutet daher, das Kind dort zu unterstützen, wo echter Wille zum Vorschein kommt. Den Willen aufzunehmen und zu stärken muss heute mehr denn je ein Ziel von Erziehung sein. Denn noch nie waren Menschen und besonders auch Kinder vor so viele Entscheidungen gestellt wie heute, die ihren Willen herausfordern und nötig machen.

Schlüsselwörter: existentielle Erziehung, Willensstärkung

Existenzanalytische Überlegungen für eine personal ausgerichtete Unterrichtsgestaltung

Hans-Jürgen Strauch

Eine sinnorientierte Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand erfordert Räume, in denen ein innerer Dialog stattfinden kann, und die Chance, das erspürte Eigene im Umgang mit dem Unterrichtsthema in den Dialog zu bringen. Dazu bietet Unterricht, in dem eine emotionale Berührung über den Unterrichtsgegenstand eröffnet sowie ein „Tätig Werden“ möglich werden, eine gute Grundlage. Hier kann der eigene Wille der Person sich konkretisieren.
Die Lehrperson selbst ist um der existentiell ausgerichteten Erziehung willen gefordert, diese Phasen des „Loslassens“ als Fundament eines am Wollen der Schüler orientierten Unterrichts auszuhalten.

Schlüsselwörter: emotionales Berühren, existentieller Unterricht, Werte

Den Willen stärken? Den Willen lassen?

Werner Eichinger

Die Existenzanalyse begreift den „Willen“ als zentrale geistige Kraft des Menschen und dessen Stärkung als eine ihrer Aufgaben. Für den Mystiker Meister Eckhart ist „Gelassenheit“, das Lassen des eigenen Willens, ein wesentliches Motiv. Das scheint widersprüchlich – aber ein Blick auf dessen Gründe und Ziele lässt fragen, ob es nicht eher zwei Schritte auf einem Weg sind.

Schlüsselwörter: Gelassenheit, Mystik, Wille

Vom freien und vom unfreien Willen

Wiebke Dankowski

In der Existenzanalyse gehen wir davon aus, dass der Wille eine besondere geistige Kraft des Menschen ist, durch die er sich als Person durch das Ergreifen seiner Freiheit realisiert und zu einem Akt entschließt. Dabei nimmt der gereifte freie Wille Bezug auf das Gewissen und die Grundbedingungen der Existenz.
Doch wie verträgt sich nun diese These mit einer theologischen Einsicht, wie etwa Paulus sie im Römerbrief formuliert: „Das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“
Die Debatte um die Frage, ob der menschliche Wille frei oder unfrei ist, hat eine lange Tradition und ist keineswegs abgeschlossen angesichts von Aussagen aus der Naturwissenschaft, die der Rede vom unfreien Willen heutzutage wieder neue Argumente liefern.

Schlüsselwörter: freie Wille, Theologie

Deutungen der Spiritualität aus existenzanalytischer Sicht

Michael Utsch

Frankls sinnorientierter Ansatz wird sowohl in der Psychotherapie und psychosozialen Beratung als auch der Seelsorge unterschiedlich verstanden und aufgegriffen. VE Frankl selber war um eine säuberliche Trennung zwischen Psychotherapie und Seelsorge bemüht. Er betonte, dass sich die Theologie mit der Offenbarung von Gottes Heilhandeln beschäftige, während die Psychologie lediglich Aussagen über die menschliche Rezeption dieser Erfahrung machen könne. Argumentationsgrundlage war seine philosophisch begründete Personlehre.
Im beraterisch-therapeutischen Umgang mit Spiritualität kommen häufig Missverständnisse vor. Diese können vermieden werden, wenn man sich über das eigene Menschen- und Weltbild klar wird. Manche Frankl-Schülerinnen und -Schüler füllen zentrale Konzepte wie Geistigkeit, Selbsttranszendenz und Sinnfindung anders als Frankl und kommen im Umgang mit Spiritualität deswegen zu anderen Ergebnissen. Im Beitrag werden zwei Sichtweisen gegenüber gestellt. Während einige die Existenzanalyse und Logotherapie zur Humanistischen Psychologie zählen, verstehen andere Frankl als Begründer einer transpersonalen Psychotherapie (Jung, Assagioli, Wilber). Im Beitrag wird dieser Position widersprochen, weil Frankl sich ausdrücklich von dem als göttlich aufgefassten Archetypen des Unbewussten (Jung) abgrenzte. Nach Frankls Einschätzung würde die Religion dadurch den Charakter der freien Entscheidung und damit ihre Würde verlieren. Bei Frankl ist der unbewusste Gott kein Archetypus im kollektiven Unbewussten, sondern eine persönliche, ich-hafte Entscheidung. Auf Konsequenzen in Therapie und Beratung wird hingewiesen.

Schlüsselwörter: existenzieller Sinn, Spiritualität, VE Frankl

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