Existenzanalyse 2/2014
TEMIR – ein Test zur Bemessung existentieller Motivationen in zwischenmenschlichen Beziehungen: faktorielle Struktur, Zuverlässigkeit, Validität
Elena M. Ukolova, Vladimir B. Shumskiy, Evgeny N. Osin
Das Ziel unserer Studie war die Entwicklung einer neuen Bemessung existentieller Erfüllung in zwischenmenschlichen Beziehungen, welche die Theorie der vier Grundmotivationen von Längle operationalisiert. Unter Einbeziehung sachkundiger Prozeduren entwickelten wir eine Gruppe von 80 Items und untersuchten deren Struktur in einer Russischsprachigen Stichprobe (N=634). Wir verwendeten die exploratorische Faktorenanalyse und die hierarchische Clusteranalyse um 3 Indikator-Items für jede der 3 Voraussetzungen der 4 existentiellen Grundmotivationen auszusuchen. Die konfirmatorische Faktorenanalyse stützte eine hierarchische Struktur der 36-Item Reihe mit 12 first-order Faktoren und 4 second-order Faktoren. Jede der 12 Subskalen und der 4 Skalen wiesen akzeptable Zuverlässigkeit auf (Cronbachs alphas > 0.80). Die Skalen des Fragenkatalogs erlaubten eine Differenzierung zwischen Beziehungen, welche aufgrund von Selbsteinschätzungen als „erfolgreich“ und als „erfolglos“ bezeichnet wurden und wiesen statistisch signifikante Korrelationen mit zwei Evaluierungen der generellen existentiellen Erfüllung auf, der Existenz Skala (Längle, Orgler, Kundi, 2000) und Test für Existentielle Motivation (Eckhardt, 2000). Die Path-Analyse (durchgeführt mit Mplus 7.11 software) indizierte, dass die Verwirklichung der dritten und vierten Grundmotivation (Authentizität und Sinn) in Beziehungen am wesentlichsten für die allgemeine existentielle Erfüllung war. Ebenso untersuchten wir die Unterschiede der Beziehungserfahrungen der Geschlechter und Beziehungstypen (z.B. freie Beziehung, die nicht eingetragene Partnerschaft, die offizielle Ehe). Die Resultate zeigten, dass Frauen vermehrt dazu tendieren von positiven Beziehungserfahrungen zu berichten. Der Unterschied in den Beziehungstypen, welche den Grad der persönlichen Hingabe in einer Beziehung spiegelten, war im Vergleich zum Geschlecht ein starker Prädiktor für die wahrgenommene Erfüllung. Im Artikel empfehlen wir die Anwendung des Tests für Existentielle Motivation in zwischenmenschlichen Beziehungen (TEMIR – Test of Existential Motivations in Interpersonal Relationships) als neues Russischsprachiges Forschungsinstrument und erörtern potentielle zukünftige Forschungsgebiete.
Schlüsselwörter: Authentizität, existentielle Grundmotivationen, zwischenmenschliche Beziehungen, Sinn, Vertrauen, Wert des Lebens
Klientenressourcen aus Psychotherapeutensicht
Madeleine Prochaska, Bianca Bertl, Alfried Längle, Astrid Görtz
Klienten werden in der Psychotherapieforschung immer mehr als aktiv Handelnde mit Potentialen und Ressourcen anerkannt (Bohart & Greaves Wade 2013). In der vorliegenden Studie bewerteten existenzanalytische und nicht-existenzanalytische Psychotherapeuten, Teilnehmer an einem internationalen existenzanalytischen Kongress (2013), vorgegebene Ressourcen danach, wie hilfreich sie diese im Rahmen ihrer Therapieerfahrung einschätzen. Zusätzlich sollten sie die drei hilfreichsten Ressourcen aus allen bewerteten nennen. In einer Expertengruppe (Lehrtherapeuten, Forscher) wurde zu diesem Zwecke ein Fragebogen entwickelt, der sich aus existenzanalytischen und nicht-existenzanalytischen Ressourcen zusammensetzt. In den Ergebnissen zeigt sich, dass existenzanalytische Ressourcen als signifikant hilfreicher als nicht-existenzanalytische bewertet wurden. In der Nennung der drei hilfreichsten Ressourcen wurden zudem von beiden Therapeutengruppen die existenzanalytischen Ressourcen am häufigsten angegeben. Diese Ergebnisse weisen auf Überschneidungen in den theoretischen Ressourcenkonzepten der untersuchten Therapierichtungen hin. Aufgrund des Kongresssettings sind Selektionseffekte der Stichprobe jedoch anzunehmen. In zukünftigen Studien sollte ein qualitativer Fokus gewählt werden, um differenziertere und facettenreichere Erkenntnisse in Bezug auf therapeutische Ressourcen zu ermöglichen.
Schlüsselwörter: Existenzanalyse und Logotherapie, empirische Studie, Ressourcen, Klientenressourcen, Therapeutenperspektive
Die Aktualisierung der Person
Existenzanalytische Beiträge zur Personierung der Existenz
Alfried Längle
Der Schlüssel zur Existenz wird in der EA in der Aktivierung der Person gesehen. Darum ist ein Vorgehen, das die Ressourcen der Person anspricht und zu mobilisieren versucht, grundlegend für die EA und jede Psychotherapie. – Um dieses Ziel zu erreichen werden zunächst Eigenschaften der Person und des Ichs vorgestellt und anthropologisch im Verhältnis zur Leiblichkeit und zu den personal-existentiellen Grundmotivationen reflektiert. Dabei wird die Wechselseitigkeit von Struktur und Prozess maßgeblich, die den Rahmen für die Aktualisierung der Person abgibt: der Zugang über das Strukturmodell der Grundmotivationen wie über das Prozessmodell der Personalen Existenzanalyse (PEA). Es werden die dynamischen Grund-Aktivitäten der Person beleuchtet (sehend – integrierend – begegnend), dann die Voraussetzungen der Ich-Bildung beschrieben (Beachtung – Empathie – Stellungnahme). Im Wechselspiel mit dem Ich kann die Person aktuell und in der Existenz wirksam werden. Im Tiefsten schwingt die Person jedoch in einer spirituellen Tiefe mit dem Sein und dem Leben – um dann dank des Ichs zu einem inneren Gegenüber zu werden. – Eine Aktivierung der Person kann nur erfolgen, wenn sie an diesen Eigenschaften der Person und dem Wechselspiel mit dem Ich ansetzt. – So kann der Mensch über das Person-Sein zum Wesen des Lebens gelangen: zur Seins-Berührung, in der der personale Sinn der Existenz aufgeht.
Schlüsselwörter: Person, Ressourcen, Existenz, Aktualisierung, Spiritualität
„In der Schwebe des Lebendigen“
Zur Freiheit und Unverfügbarkeit der Person
Helmut Dorra
Die Person ist in sich gegründet einmalig in ihrem Dasein und einzigartig in ihrem So-Sein: Subjekt der Freiheit. Sie verwirklicht sich mit ihren Werdemöglichkeiten im geschichtlichen Vollzug auf ihre Welt und Mitwelt bezogen in existentieller Gemeinschaft und im begegnenden Dialog, der unsere Beziehungsweisen im menschlichen Miteinander fundiert. In einer interpersonalen Gegenseitigkeit wird der Person in ihrem Eigensein Raum gegeben, mit ihren persönlichen Beweggründen und Bewertungen Stellung zu nehmen, so dass sie in ihrer unvertretbaren Individualität und unverwechselbaren Individualität zur Erscheinung kommen kann. Gleichwohl bleibt sie unter dem Vorbehalt des Unverfügbaren unserem Verstehen immer auch fremd und verborgen in der Abgrenzung ihres unbedingten Subjektseins, das unserem Bescheid-Wissen und einer objektivierenden Bestimmung widerstrebt. So ist die Person in ihrer Selbstgehörigkeit mitnichten zu de-finieren, indem wir sie in den Fundus feststellbarer Tatsachen und dinghafter Fixierungen in Besitz zu nehmen und zu vereinnahmen suchen. Vielmehr wird die Freiheit und Würde der Person dort geachtet, wo wir sie „in der Schwebe des Lebendigen halten“ und wo wir fragend uns bemühen, ihr „in allen möglichen Veränderungen und Entfaltungen hinein zu folgen“ (Max Frisch).
Schlüsselwörter: Angst, Begegnung, Dialog, Freiheit, Gelassenheit, Individualität, Lebenswelt, Liebe, Mitsein, Person, Scham, Selbstsein, Wegmotiv, Würde
Person und Struktur
Menschsein im Spannungsfeld von Freiheit und Gebundenheit
Christoph Kolbe
Als existenzielle Richtung der humanistischen Psychotherapie legt die Existenzanalyse besonderes Augenmerk auf die Fähigkeit des Menschen, sich in seinen situativen Weltbezügen frei und verantwortlich zu verhalten, authentische Entscheidungen zu treffen und wertbezogene Handlungen zu vollziehen. Möglich ist das, weil der Mensch Person ist. So zielt die existenzanalytische Psychotherapie darauf, den Menschen als Person anzusprechen und ihm zu helfen, sein Personsein zu realisieren, wenn dieses blockiert ist. Der Artikel wird deshalb in einem kurzen Überblick die Spezifika des Personverständnisses darlegen: seine emotionale Beindruckbarkeit, seine Fähigkeit, Positionen einzunehmen und seine Fähigkeit, sich gestaltend in die Welt einzubringen. Für die psychotherapeutische Arbeit ist nun besonders zu bedenken, inwiefern der Vollzug des Personseins aufgrund von Ängsten oder mangelnder Ich-Struktur nicht gelingt. In diesen Fällen sind die Ängste bzw. das Umgehen mit den Ängsten zu bearbeiten. Und es ist ggf. die Ich-Struktur zu festigen, damit Personalität vollzogen werden kann.
Schlüsselwörter: Person, Struktur, Ich-Struktur, Ich-Funktionen, Existenzfunktionen, Personale Aktivitäten, Grundmotivationen, Personale Existenzanalyse, Konflikte
Existentielles Grounding: Das Seinserleben als Ressource der Person
Bausteine zur vertieften Einbindung des gefühlten Körpers in die Existenzanalyse
Markus Angermayr
Es wird das vorreflexive körper-leibliche Erleben von basalen haltgebenden, stärkenden und nährenden Phänomenen des Da-Seins praktisch in den Blick genommen.
Ausgangspunkt existenzanalytischer Arbeit ist die körper-leibhafte Person, die sich in einer bestimmten Situation befindet. Es bestehen und entstehen halt- und strukturgebende Rhythmen, wie z.B. Atmung, Herzschlag, Weitung und Enge, usw.. Es geht darum, diesen Phänomenen nachzuspüren und dabei zu verweilen. Sie erschließen die Ebene des Seinsgrundes und Grundwerts. Es ist ein Zustandswechsel vom Alltagsbewusstsein zum gefühlten Seinserleben hin zu einem in der Tiefe erlebten „ich bin“- ist somit ein schlichtes Eintauchen in das „Mysterium des Selbstverständlichen“ (Patocka 1991).
In der Tiefe körper-leiblicher Prozesse finden sich bei aller psychodynamischen Problematik basale Ressourcen, so dass wir in der Existenzanalyse sagen: das Sein ist selbst schon ein „Können“.
Schlüsselwörter: Dasein, Grounding, KörperLeib, Seinserleben
(Wie) sprichst Du mit dir?
Anleitung zum inneren Dialog
Karin Steinert
Die Person ist das in mir Sprechende, lautet eines ihrer Charakteristika. Wie jemand mit sich redet, gibt Aufschluss über die Art und Weise der gelebten Selbstbeziehung. Die Selbstbeziehung wiederum hat entscheidenden Einfluss darauf, wie die Beziehung zur Welt gestaltet wird. Existenzanalytische Psychotherapie ist immer auch Anleitung zum inneren Dialog. Die Psychotherapeutin ist Vorbild dafür, wie personale Begegnung im Gespräch stattfindet. Diese Erfahrung kann vom Patienten in seine Innenwelt übernommen werden. Dadurch lernt er einen achtsamen, zugewandten und respektvollen Umgang mit sich selbst und wird gleichzeitig offener der äußeren Welt gegenüber. Anhand von einem Fallbeispiel aus der therapeutischen Praxis soll gezeigt werden, wie sich die Stimme der Person von anderen inneren Stimmen unterscheiden lässt und wie die Anleitung zum inneren Dialog in der Psychotherapie eine Möglichkeit darstellt, Zugang zu den Ressourcen der Person zu bekommen.
Schlüsselwörter: innerer Dialog, Falldarstellung, Personale Existenzanalyse
Wenn der Blick auf die Ressourcen die Gesamtsicht verstellt
Jürgen Kriz
Erfreulicherweise hat sich in vielen heutigen Diskursen über Psychotherapie der Fokus von Defiziten und Störungen der Patienten hin zu dessen Ressourcen und Potentialen verschoben. Die Frage ist allerdings, ob alle unter diesen Begriffen hinreichend das gleiche verstehen. Aus der Perspektive der Humanistischen Psychotherapie geht es dabei um Förderung und Unterstützung der Entwicklung von Potentialen, so dass sich diese entsprechend den sozialen und materiellen Erfordernissen ihrer Umwelt aktualisieren bzw. re-adaptieren können. Im Gegensatz dazu verstehen einige andere Ansätze – allen voran die „dritte Welle der Verhaltenstherapie“ – unter dem Begriff „ressourcenorientiert“ eher das Training von Fertigkeiten und sozialen Techniken.
Dieser Beitrag diskutiert die historische und humanistische Bedeutung von „Ressource“, „Potential“ und „Aktualisierung“ und stellt dieses Verständnis in Kontrast zu einem funktionellen Verständnis dieser Begriffe – und des Menschen
Schlüsselwörter: Aktualisierung, Humanistische Psychotherapie, Person, Potential, Ressource
Ressourcenarbeit in der Traumatherapie
Karin Matuszak-Luss
Im folgenden Artikel wird die zentrale Rolle der Ressourcenarbeit in der Traumatherapie beschrieben. Es wird auf die Traumatherapie und Ressourcenarbeit der Ego State Therapie Bezug genommen, die von Watkins J.G. und Watkins H.H. begründet wurde. Ebenso werden andere Vertreter dieser Richtung, allen voran Peichl J. und Fritzsche K., berücksichtigt. Ein weiterer Fokus wird auf die Psychodynamisch imaginative Traumatherapie von Reddemann L. gelegt, die einen bedeutenden Zugang zu traumatisierten Menschen darstellt. Überschneidungen zwischen der Ressourcenarbeit und existenzanalytischer Theorie und Vorgehensweisen werden aufgezeigt und zur Diskussion gestellt. Die theoretischen Ausführungen werden durch Fallvignetten ergänzt.
Schlüsselwörter: Ego States Therapie, Existenzanalyse, Ressourcenarbeit
Eine Botschaft des Körpers?
Der innere Dialog bei psychosomatischen Erkrankungen
Renate Bukovski
„Krank ohne (oder mit, die Symptomatik nicht ausreichend erklärendem) Befund“ ist ein wesentliches Phänomen von Patienten mit somatoformen Störungen und psychosomatischen Störungen i.e.S. Die auftretenden körperlichen Symptome können vordergründig nicht erklärt werden und machen Patienten und auch Behandler oft hilflos. Anhand eines Fallbeispieles aus der existenzanalytischen Praxis soll die Möglichkeit aufgezeigt werden, über diese Körpersymptome in einen inneren Dialog mit sich und dem eigenen Geworden Sein zu kommen. Die phänomenologische Arbeit zielt dabei auf das Wahrnehmen des körperlich (oft schmerzhaft) Gefühlten, die Zuwendung zu und Begegnung mit dem hier „Sprechenden“ (auch mit Hilfe innerer Bilder) ab. Über eine Annäherung an die „Botschaft des Körpers“ sollen Betroffene zu einem leiblichen Verstehen und in eine personale Verarbeitung kommen. Ziel ist die Aktualisierung der Person zu einem aktiven, ressourcenorientierten, von Selbstheilungskräften begleiteten Umgang mit sich und der Erkrankung.
Schlüsselwörter: Imagination, innerer Dialog, Phänomenologie, Psychosomatik
„Ich bin so frei …“
Bericht eines theaterpädagogischen Workshops auf existenzanalytischem Boden
Martina Juen
Der vorliegende Artikel beinhaltet die Schilderung eines Theaterworkshops für (existenzanalytische) BeraterInnen und TherapeutInnen. Ausgewählte existenzanalytische Inhalte werden mit theaterpädagogischen Methoden aufbereitet, mit der Intention diese unmittelbar erlebbar zu machen. Im ersten Teil werden der existenzanalytische und der theaterpädagogische theoretische Hintergrund des Workshops kurz skizziert. Im zweiten Teil wird der durchgeführte Workshop im Detail beschrieben und die Intention und Wirkung aus existenzanalytischer Sicht reflektiert.
Schlüsselwörter: Existenzanalytische Grundmotivation, Phänomenologie, kreative Methoden
Therapie 2+: Vom Einzel- zum erweiterten Setting und wieder zurück
Ressourcenorientierte Kurzzeitinterventionen mit Partnern oder Angehörigen von (erwachsenen) KlientInnen
Marc Sattler, Susanne Pointner
Das Thema des Workshops ergab sich aus der Erfahrung in der täglichen Praxis. Sosehr wir KlientInnen anleiten zum Finden des Eigenen und zur selbständigen Umsetzung der erarbeiteten Schritte, so hilfreich kann es sein, eine unmittelbare Unterstützung im Rahmen eines Dialogs mit einer wichtigen Bezugsperson zu bieten. Die Erweiterung des Settings von der Paar-Klienten Begegnung zum Gespräch zu dritt oder zu viert birgt Chancen und Risiken. Diese wurden im Workshop beleuchtet und Ansätze für eine gute Nutzung des erweiterten Settings aufgezeigt. Der Ablauf und einige inhaltliche Aspekte werden im Artikel vorgestellt.
Schlüsselwörter: Angehörige, Dialogbegleitung, Setting
Potenziale der Person – Ressourcenorientierung in Psychotherapie, Beratung, Coaching und Pädagogik
Ein kurzer Abriss aus gestalttherapeutischer Sicht
Dorothea Bünemann
Gestalttherapie ist ein existenziell-phänomenologisches, erlebnisaktivierendes Therapieverfahren. Es ist in vielfältiger Weise auf persönliches Wachstum und Entfaltung der Persönlichkeit gerichtet. Dies wird anhand der Theorie des „Selbst“ und des Konzeptes „Organismus-Umwelt-Feld“ veranschaulicht.
Schlüsselwörter: Organismus-Umwelt-Feld, Potenzial, Ressourcen, Selbst
Online-Beratung: Ist personales Arbeiten per Internet möglich? (Workshop)
C. Tobias Jahn
Seit einigen Jahren ist in den psychosozialen Arbeitsfeldern die Beratung via E-mail und Chat auf dem Vormarsch. Während Erziehungsberatungsstellen, Krankenkassen oder Selbsthilfeinitiativen diese Form der Kontaktaufnahme bereits routiniert nutzen, reagieren gerade humanistisch-existentiell Arbeitende häufig mit Skepsis auf diese Form der Kommunikation. Sollte es möglich sein, Ratsuchende online personal anzusprechen? Birgt dieses Medium Vorteile für die existenzanalytische Arbeit? Und wie sieht es mit den rechtlichen Rahmenbedingungen aus?
Hier sollen die fachliche und technische Entwicklung der vergangenen fünfzehn Jahre nachgezeichnet und deren praktische Herausforderungen betrachtet werden. Dabei wird der Fokus auch auf den rechtlichen Rahmen – im speziellen den Beratungsvertrag – gerichtet.
SCHLÜSSELWÖRTER: Beratungsvertrag, Online-Beratung, Personales Arbeiten
Fernunterricht in der Existenzanalyse
Irina Ryazanova
Therapie und Beratung können – mit Einschränkungen – auch im Fernkontakt über das Internet erfolgreich sein, da ein vollwertiger therapeutischer Prozess möglich ist. Die phänomenologische Methode ist eine gute Voraussetzung für Fernberatung. Der Artikel schildert die Erfahrung der Autorin mit Patienten im Fernkontakt und liefert eine detallierte Übersicht über spezifische Formen der Fernberatung. Zudem werden organisatorische, technische sowie methodische Schritte, die für den Aufbau eines Fernunterrichts in Existenzanalyse nötig wären, besprochen. Ein Fallbeispiel einer Ferntherapie rundet den Beitrag ab.
Schlüsselwörter: Fallbeispiel, Ferntherapie/-beratung, Fernunterricht, Gruppen- u. Einzelsetting
Wie schaue ich auf mich?
Achtsames Bewegen als Zugang zur Person
Sigrid Happ
Wie uns der Alltag mit seinen Anforderungen und Aufgaben beansprucht, wird häufig als erstes und sehr deutlich auf der körperlich-leiblichen Ebene spürbar. Unser Leib lässt sich als Mittler verstehen zwischen der auf uns eindringenden Welt und den in uns existierenden Ressourcen und Potentialen. Achtsamkeitspraxis unterstützt die bewusste Wahrnehmung des aktuellen Geschehens, bevor es zur Belastung wird.
Schlüsselwörter: Achtsamkeit, Leiblichkeit, Mindfulness, Embodiment
Gesundheit und Alter – Perspektiven aus der Salutogenese
Thomas Schukai
Die Gesundheit ist ein herausragender Wert für den Menschen, der im Alter noch an Bedeutung gewinnt. Zugleich ist die Gesundheit im Alter zusätzlichen Belastungen ausgesetzt.
Vor diesem Hintergrund findet Gesundheitsförderung für den alternden Menschen in einem veränderten Kontext statt. Dies wird auf der Grundlage der Salutogenese nach Antonovsky entwickelt. Drei Kategorien sind nach diesem Ansatz für den Erhalt der Gesundheit entscheidend: Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit. Anhand von drei Studien wird aufgezeigt, wie diese konkret die Gesundheit und die Lebenserwartung des alternden Menschen entscheidend beeinflussen.
Schlüsselwörter: Faktoren für hohe Lebenserwartung, Gesundheit bei Hochbetagten, Salutogenese und Werterleben
Ressourcen von Pflegekräften
Wunsch und Wirklichkeit
Eva Liesmann
Pflege von Menschen in Krankheit und Alter ist in erster Linie Beziehungsarbeit. Sie wird unter teilweise schweren Bedingungen durchgeführt. Woher nehmen die Pflegenden die Kraft und die Motivation für diese Arbeit? Was können die Pflegekraft selbst, aber auch wir als Logotherapeuten, aktiv dazu tun um Ja zur Arbeit zu sagen und unsere Kraftquellen zu unterstützen?
Schlüsselwörter: Altenpflege, Beziehungsarbeit, Motivation der Pflegekräfte
Ressourcen orientierte Pflege- und Betreuung dement betroffener Menschen
Astrid Ludwigkeit
Das Erleben dement betroffener Menschen entspricht dem einer chronischen Krisensituation, die gekennzeichnet ist durch Verlust- und Versagenserfahrungen. Es sind allem voran kognitive Defizite, die zu einer Minderung von Orientierungsfähigkeit, Verhaltenskontrolle, Autonomie und Selbstbestimmung führen. Dennoch stehen dem betroffenen Menschen Ressourcen in Form erlernter Copings zur Verfügung, die im Alltagsleben zur Daseinsbewältigung beitragen können. Diese fixen Verhaltensmuster sind Ausdruck innerer Beweggründe, fundamentaler Strebungen und existentieller Strukturen, die den vier Grundmotivationen entsprechen. Sie zu verstehen und zu stützen ist Aufgabe einer Gerontopsychiatrischen Pflegepraxis und Betreuungsarbeit.
Schlüsselwörter: Hermeneutik, Demenz, Herausforderndes Verhalten
Verweigerungsreaktion und Hospitalismus bei einem einjährigen Kind im phänomenologischen und existenziellen Verständnis
Albina Viktorovna Loktionova
Dieser Artikel beschreibt, wie die Personale Existenzanalyse (PEА) bei Kinderpsychotherapeuten zum Einsatz kam, um ein einjähriges Kind mit Verweigerungsreaktion und Regression aufgrund dessen Verlusts der Eltern in einem Rehabilitationskinderheim in der Stadt Wladiwostok in Russland zu behandeln. Das Hauptaugenmerk liegt auf dem phänomenalen Gehalt und der phänomenologischen Analyse der subjektiven Wahrnehmungen und des Gespürten der Fachleute, welches deren Personale Positionsfindung und daraus folgend die therapeutische Hilfe für das nicht sprechende Kind in Form des dialogischen Prozesses ermöglicht hat. Schritt für Schritt werden die Etappen zur Überwindung der Hauptschwierigkeiten und die gewonnenen Erkenntnisse beschrieben, was die Begleitung in ähnlichen Fällen ermöglichen soll.
Schlüsselwörter: Kernselbst, Kinderpsychotherapie, PEA, phänomenologische Analyse, Regression, Selbst, Trauma
Ein existenzanalytischer Beitrag zur Entwicklungspsychologie
Roman Biberich und Andrea Szklenar
In diesem Artikel werden Überlegungen zu einem Entwurf einer existenzanalytisch-entwicklungspsychologischen Theorie vorgestellt. Zu diesem Zweck werden zuerst die Grundbedürfnisse menschlichen Lebens laut traditioneller Entwicklungspsychologie als auch der Neurobiologie auszugsweise dargestellt, das existenzanalytische Struktur- und Prozessmodell zusammenfassend skizziert, um letztlich eine Zusammenführung dieser Bereiche zu einem dynamischen Modell anzustellen. Damit wollen wir einen existenzanalytisch orientierten Beitrag zur Entwicklungspsychologie sowie zu Diagnostik und Behandlungsplan in der existenzanalytisch-psychotherapeutischen Praxis liefern.
Schlüsselwörter: Entwicklungspsychologie, Grundbedürfnisse, PEA, Grundmotivationen
Non scholae – sed vitae discimus
Kann Schule auf das Leben vorbereiten?
Hans-Jürgen Strauch
Ein kritischer Seneca bemerkte: „Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir.“ In der heutigen Risikogesellschaft reichen Wissen, Kenntnisse und Fertigkeiten häufig nicht mehr aus, um ein erfülltes Leben angesichts der Anforderungen von Komplexität und Orientierungslosigkeit zu ermöglichen.
Die Erfahrungen aus der Unterrichtspraxis zeigen, dass nicht fremdgesteuerte und fremdorganisierte Lernformen auf das Leben vorbereiten, sondern selbstorganisiertes, selbstwirksames Handeln im Austausch mit einem Du, das Emotionen, Motivationen, Einstellungen, Fähigkeiten, Erfahrungen, den Willen zur Sinnfindung und eigene Werte integriert. Damit bietet sich die Grundlage für eine umfassende, personal verankerte Kompetenzausrichtung, die Problemlösungen in komplexen, persönlichen Zusammenhängen erlaubt. Wesentliche Schlüsselqualifikationen werden durch kompetenzrelevante Verhaltensweisen und sozial-kommunikatives Handeln entwickelt. Aus personaler Sicht sind dazu freies Erleben, authentische Stellungnahme und verantwortliches Handeln notwendig.
Schlüsselwörter: Kompetenzen, Schlüsselqualifikationen, Person, Entwicklungspotential
Positive Psychologie und Philosophie des Glücks
Bericht über ein Wahlpflichtfach am Gymnasium
Maria Angleitner
Angestoßen von bereits umgesetzten Projekten wie das „Schulfach Glück“ in Heidelberg bzw. „Well-being“ in Wellington (GB) wird seit 2010 in Wien das Wahlpflichtfach Positive Psychologie und Philosophie des Glücks unterrichtet. Es soll den SchülerInnen Raum für ihre Fragen nach dem Glück und einem gelingenden Leben geben, aber auch konkrete Methoden lehren und Wege zeigen, wie sie selbst aktiv und verantwortungsvoll ihr Leben positiv und sinnvoll gestalten können.
Dieser Bericht umreißt die vielfältigen Unterrichtsinhalte und Methoden, und lässt SchülerInnen mit ihren Erfahrungen dabei zu Wort kommen.
Schlüsselwörter: Dankbarkeit, Glück, Unterricht